Experten oder Propheten?

Wenige Menschen fänden es gut, wenn der genaue Zeitpunkt ihres Todes bekannt wäre. Davon abgesehen, möchte man aber gerne wissen wie sich die Zukunft gestalten wird. Prognosen dafür sind bekanntermaßen schwierig. Daher sucht man sich den Rat von Experten, die stellen dann einige Vermutungen an und aus diesen wird mehr oder weniger streng die Zukunft vorausberechnet.

Die Genauigkeit hängt nicht nur von der Vollständigkeit des verwendeten Rechenmodells, sondern ganz besonders von der Qualität der Voraussetzungen ab. Leider stellt es sich immer öfter heraus, dass zwei Gutachten vollkommen unterschiedliche Ergebnisse bekommen und man dann an der Qualität der Gutachten zweifelt.

Bei Stuttgart 21 wurde das in einer der Anhörungen offensichtlich: Die Bahn wollte möglichst kurze Aufenthaltsdauer der Züge, die Gegenseite wollte möglichst lange Haltezeiten um ein zentrales Umsteigen wie in der Schweiz zu erhalten. Dann wurde heftig darüber gestritten ob jetzt 8 oder 20 Bahngleise erforderlich wären. Die unterschiedlichen Voraussetzungen kamen erst gegen Ende der Diskussion auf und nur wenige haben damals bemerkt, dass man die ganze Zeit über unterschiedliche Dinge geredet hatte.

Bei Corona hatte man ähnliche Diskussionen. Solang das Ziel (Minimaler wirtschaftlicher Schaden / Herdenimmunität oder nur eine ausreichende medizinische Versorgung oder so wenig Erkrankungen wie möglich) nicht definiert ist, sollte man sich nicht über die Wege streiten. Und insbesondere Herr Drosten hat vorbildlich deutlich gemacht, dass sich Ansichten mit wachsendem Wissensstand auch mal ändern können.

Was mir in letzter Zeit aufgefallen ist, ist die zunehmende Praxis, Gutachten generell danach zu beurteilen, ob einem das Ergebnis in den Kram passt oder nicht. Wer dem Klimaforscher vertraut, aber die ungleich einfachere Prognose von Verkehrszahlen oder Lärmentwicklungen rundweg ablehnt, misst mit zweierlei Maß.

Dabei ist es eigentlich einfach: Prognosemodelle müssen ständig überprüft und korrigiert werden. Das umfasst die Treffergenauigkeit vergangener Prognosen, wie auch die Überprüfung der aktuellen Annahmen für die anstehende Prognose.

Man könnte nun hunderte von Beispielen durch alle Bereiche anführen, bei denen Personen unbeirrt neuer Fakten bei Ihrer Meinung bleiben. Ich greife nur ein aktuelles aus dem Gemeinderat in Oberschleißheim auf: Ein geändertes Gesetz eröffnet neue Möglichkeiten, die von allen Bürgerinnen und Bürgern gewünschte Verbesserung bei der Querung der Bahnlinie vorzeitig ohne langwierige Planung für Radfahrer und Fußgänger umzusetzen. Wenn ich als Vorsitzender der Bürgerinitiative Bahn im Tunnel hier ein Chance sehe, weiterzukommen, obwohl diese Lösung scheinbar im Widerspruch zu den Zielen der Initiative steht, dann erwarte ich auch von den Personen, die eine Straßenunterführung wollen, die geistige Flexibilität entweder die Vorteile auf Anhieb zu erkennen, oder zumindest die Bereitschaft darüber zu diskutieren. Denn eine offene Diskussion miteinander ist die Grundlage der Demokratie.